Kritik November 2006 
 
Solothurner Zeitung, 2006-11-21
Zu Babel ein Turm

Der Konzertchor Solothurn beschenkte sich zu seinem 175-Jahr-Jubiläum mit dem Auftrags-Oratorium «Zu Babel ein Turm» gleich selber und sorgte für eine glanzvolle Uraufführung des anspruchsvollen Werkes.

Helmuth Zipperlen

Gemeinsam mit international bekannten Solisten, den Neuen Solothurner Vocalisten und dem Huttwiler Kammerorchester brachte der Konzertchor das Oratorium musikalisch zu voller Blüte. Die aus dem Kanton Solothurn stammenden Carl Rütti (Musik) und Ulrich Knellwolf (Text) haben ein Werk vorgelegt, das sich an die klassischen Oratorien anlehnt, aber durchaus Heutiges atmet. So ist denn die Komposition von den ersten bis zu den letzten Tönen aus einem Guss. Folgerichtig haben die Verantwortlichen darauf verzichtet, das Werk durch eine störende Pause zu unterbrechen. Dies allerdings setzte an die Ausführenden hohe Ansprüche, die während eineinhalb Stunden die Bühne nie verlassen konnten.

Vom Chaos zur Erlösung

Carl Rütti weist dem Orchester Töne zu, die wie ein dunkles Grollen daran erinnern, dass die Erde einst wüst und leer war. Mit der Inbesitznahme der Erde durch den Menschen steigert sich das Orchester aus den verhaltenen Piani zu glanzvollen Forti. Über dem Orchester der Chor, der vor allem fünf Silben singt: Tohuwabohu. Musikalisch werden diese, das Chaos ausdrückende Silben, in einer unendlichen Vielfalt von Tönen gesungen. Und aus dem Chaos entstand die stolze Stadt Babel. Doch Gott wurde der Anspruch der Menschen, ihm gleich zu sein, zu viel: Er zerstörte Babel, zerstreute die Menschheit und liess sie in verschiedenen Sprachen reden. Erneut ein Tohuwabohu. Fein ziseliert illustriert die Musik das Geschehen. Die Solisten greifen ein, und die Harfe wird zum bevorzugten Instrument zur Begleitung der weiblichen Stimmen. Rütti weist den Stimmen ihre Parts zu. So ist denn die Altistin eine Art Erzählerin, die Sopranistin verkörpert, simplifizierend ausgedrückt, die Engel, während der Tenor, dessen Partie auch baritonale Teile aufweist, dem Verführer oder Satan die Stimme leiht. Der Bassist, der schöne, tiefe Töne ausschöpfen kann, steht für Gottes Stimme. Während der Tenor Gott darauf aufmerksam macht, dass die Menschen ihn vom Thron stürzen wollen, bittet der Sopran Gott um Gnade um der Gerechten willen.

Die Bibel in Kurzfassung

Textautor Ulrich Knellwolf lässt es nicht bei dieser alttestamentarischen Episode vom Turmbau zu Babel bewenden. Er lässt Gott Reue empfinden. «Denn Gott bin ich, und nicht ein Mensch!» Es folgt die Verheissung an Abraham, und schliesslich schickt Gott als endgültiges Zeichen seiner Versöhnung mit Jesus Christus den Erlöser. Mit dem Pfingstfest schliesst sich bei Knellwolf der Kreis, denn «sie fingen an, in anderen Zungen zu reden, wie der Geist ihnen auszusprechen gab. Die Sprachverwirrung wird damit gleichsam rückgängig gemacht. Das musikalische Fortissimo der Zerstörung von Babel, von dunklen Tönen getragen, weicht einem in hellen Tönen gehaltenen Crescendo, um ganz zum Schluss in ein harmonisches «Amen» überzugehen. Rütti und Knellwolf haben das Oratorium bewusst in elf Teile gegliedert, und der Komponist hat nicht zufällig auch mit 11/8-Takten gearbeitet.

Geglückte Umsetzung

Die Gesamtleitung lag in den Händen des Dirigenten des Konzertchores, Adalbert Roetschi. Er ist kein Dirigent der effektvollen Gesten, sondern hat besonnen und souverän den Mitwirkenden Einsatz und Tempi zugewiesen. Sein Konzertchor wurde verstärkt durch die Neuen Solothurner Vocalisten, bei denen Theresa Lehmann und Patrick Oetterli für die Einstudierung besorgt waren. Letzterer trat auch als Solist auf. Es war ein gekonnter Regieeinfall, dass der erste Einsatz Oetterlis als Gottes Stimme von der Empore erschallte, und er erst nachher auf der Bühne erschien, wo er auch in der Folge überzeugte. Die aus München stammende Barbara Kandler verfügt über eine wohlklingende Altstimme und im Sprechgesang über eine ausgezeichnete Diktion. Ganz wenige, fast nur eine Andeutung von Koloraturen hat Rütti für die Sopranistin Vera Ehrensperger geschrieben. Ihre schöne Mittellage hat sie für diesen Part prädestiniert. Mit Valentin Johannes Gloor schliesslich wurde das Solistenensemble komplettiert. Sein kraftvoller Tenor verfügt über eine grosse Ausstrahlung. Diese bemerkenswerten gesanglichen Leistungen wären aber alle nichts, wenn nicht das Huttwiler Kammerorchester die musikali-sche Grundlage gegeben hätte. Die Einstudierung durch dessen Leiter Martin Kunz entsprach offensichtlich den Intentionen Adalbert Roetschis, dem es an der Uraufführung gelang, die ganze Bandbreite der Musik zum Erklingen zu bringen. Lang anhaltender Applaus und sogar einzelne Bravo-Rufe bewiesen, dass das Publikum von diesem neuen Oratorium angetan war.

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Neue Zuger Zeitung, 2006-11-21

 

Zu Gottes und des Konzertchors Ehre
Über 300 Zuhörer feierten am Samstag in der katholischen Pfarrkirche Unterägeri die Uraufführung des Oratoriums «Zu Babel ein Turm». Lange stehende Ovationen bekamen die Aufführenden: die Solisten, der Konzertchor der Stadt Solothurn, die Neuen Solothurner Vokalisten und das Kammerorchester Huttwil. Auch der Zuger Komponist Carl Rütti und der Schriftsteller Ulrich Knellwolf, die das Werk zum 175-jährigen Bestehen des Konzertchors geschrieben hatten, wurden frenetisch beklatscht.

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